Kongressbericht 5. Curriculum "Anatomie und Schmerz" 5. - 7.September 2002 U. Preuße, J. Fanghänel, Th. Koppe

 

Vom 5. bis 7. September trafen sich im Institut für Anatomie der Ernst- Moritz-Arndt Universität Greifswald schmerztherapeutisch interessierte Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen aus ganz Deutschland um gemeinsam funktionell-anatomische Grundlagen des Kopfes und der Hirnnerven unter klinischen Gesichtspunkten aufzuarbeiten. Neben wissenschaftlichen Vorträgen zu Grundlagen der funktionellen Anatomie des Kopfes, des stomatognathen Systems sowie die Besonderheit der Duraverhältnisse erhielten die Teilnehmer ebenfalls Hinweise auf Neuerungen innerhalb der internationalen Nomenklatur von Kopfschmerzformen (IHS). Ergänzt wurde dieses Veranstaltungskonzept durch präparative und visualisierende Darstellungen.
Fanghänel und Preuße (Greifswald/Essen) verwiesen in ihrem Einführungsvortrag auf die vielfältigen Ursachen von Schmerzphänomene der Kopfregion einschließlich der Vielfalt kranialer Entrepment’s.
Der Schädel/Kopf mit allen seinen Spezifika und seinen vielfältigen Beziehungen ist die komplizierteste Struktur des Organismus. Die zahlreichen anatomischen Gegebenheiten bieten auch die verschiedenen Ursachengefüge für den Schmerz, der nozizeptiv aber auch neuralgischer Genese sein kann.

  1. Strukturen des Schädelwachstums Die Suturen des Schädels sind für das sog. suturale (kompensatorische, sekundäre) Wachstum verantwortlich. Bis zu ihrer endgültigen Verknöcherung sind sie auch nozizeptiv wirksam. Die basiskranialen Synchondrosen sind die primären Wachstumszentren. Als letzte dieser Strukturen verknöchert die Synchondrosis sphenooccipitalis, welche eine große Bedeutung für die Duraanheftung und letztlich auch für die Beeinflussung der Hypophyse über das Diaphragma sellae zeigt. Suturen und Synchondrosen ergänzen sich im Wachstumsprozess .
  2. Dura mater und Schädelknochen bilden eine Einheit durch einen gemeinsam, sich ergänzenden funktionellen Bau. In ihren Duplikaturen befinden sich die Sinus durae matris. Entsprechende Stauungen beeinflussen die Nozizeptoren in der Dura. Aber auch Zug der Dura hat dieselbe Wirkung. Duraschmerz ist Kopfschmerz (Das Gehirn hat keine Schmerzrezeptoren!) Der Migränekopfschmerz kommt z. B. durch eine (nerval bedingte) Durchblutungsstörung der Hirnhäute zustande. Hier lösen sich Kontraktion und Dilatation der Gefäße ab.
  3. Aufgrund der zahlreichen Foramina und Fissuren ergeben sich vielfältige Engpasssyndrome der Hirnnerven mit entsprechenden Ausfällen und Schmerzsensationen (z. B. Kompression im Foramen jugulare). Aber auch der Sinus cavernosus kann aufgrund der engen topographischen Beziehungen Engpasssyndrome unterschiedlicher Genese (Kavernosussyndrom) für die in die Augenhöhle ziehende Hirnnerven III, IV, hervorrufen. Der Funktionsverlust dieser Hirnnerven weist auf eine Schädigung im Bereich der Fissura orbitalis superior hin. Zu beengte abgeschlossene Räume, z. B. die Fossa pterygopalatina können auch Anlass zu entsprechenden Ausfällen bzw. Schädigungen von parasympathischen Ganglien sein.
  4. Pulsationen von Arterien beeinflussen die benachbarten Strukturen, z. B. die Aa. meningeales die Dura mater und die A. cerebellaris superior den Stamm des N. trigeminus. Letzterer Sachverhalt ist die Hauptursache für die Trigeminusneuralgie. Ektatische Venenkomplexe können durch Schwellungen Drucksymptome vortäuschen, z. B. am sog. Risikoareal am Zungenrand. Komprimierende Gefäßschlingen verursachen an Hirnnerven Neuralgien, z. B. Glossopharyngeusneuralgie.
  5. Prominente Strukturen, wie Processus und Cristae sind die Ursache für Kompressionen, z. B. das Styloidsyndrom bei zu lang ausgebildetem Proc. styloideus.
  6. Frakturen können zu neurologischen Ausfällen entsprechender Hirnnerven führen. Für ihre Beurteilung ist jedoch eine genaue Kenntnis der Nervendurchtrittsstellen am Schädel erforderlich.
  7. Innervationsstörungen (tonisch, klonisch, tremolierend oder myokloniform) führen zu Fehlhaltungen, wie die Mm. sternocleidomastoideus und trapezius zum Torticollis mit allen seinen strukturellen und funktionellen Folgen.
  8. Muskelketten können Fernwirkungen bewirken. So wird das Kiefergelenk beeinflusst durch die Muskelkette Bauch-, Brust- und Halsmuskeln.
  9. Der Bandapparat am Kopf/Schädel kann vorzeitig verknöchern. So entsteht z. B. bei einseitiger Verknöcherung des Lig. stylohyoideum das Stylocerato-hyoidale Syndrom mit entsprechenden neuralgiformen Beschwerden. Ursächlich sind hier raumfordernde Prozesse und Irritationen von Nerven zu nennen.

Auf die Bedeutung der Synchondrosis sphenooccipitalis als Schüsselregion machte Buchmann (Rostock) aufmerksam. Bedingt durch die späte Verknöcherung dieser Synchondrosis können alle bis dato durchgemachten traumatisierenden Einflüsse auf das Os sphenoidale und Os occipitale nachhaltig diese Struktur irritieren. Neben Flexions- und Extensionsstörungen lassen sich auch mögliche Shiftstörungen verifizieren. Bedingt durch die Nachbarschaftsbeziehungen zum Diaphragma sellae, dem Sinus cavernosus und der Anheftung des Tentorium cerebelli lassen sich eine Vielzahl funktioneller Entrepement`s aber auch eine Vielzahl unspezifischer neurovegetativer und hormoneller Störungen erklären.

Meyer (Greifswald) und Ridder (Merzhausen) gingen aus zahnmedizinischer und manualtherapeutischer Betrachtungsweise gemeinsam auf die klinisch häufig unterschätzte Bedeutung des Kiefergelenks ein.
Die Bewegungsabläufe des menschlichen Unterkiefers funktionieren nach den Prinzipien von Regelkreisen. Periphere Rezeptoren in der Mundschleimhaut, in Zähnen und Zahn-halteapparat, den Kiefergelenken sowie der Muskulatur liefern über afferente Nervenbahnen Informationen an das zentrale Nervensystem (Sensorik, Input).
Beim ungestörten Kauorgan werden diese Informationen in koordinierte Steuersignale umgesetzt und über efferente Nervenbahnen aktivieren sie entsprechende Anteile der Muskulatur (Motorik, Output).
Im funktionsgestörten Kauorgan kommt es zu einer Dyskoordination dieser Regelkreismechanismen und damit zu dysregulierten Muskelaktivitäten, was zur Traumatisierung und Degeneration von Hartgeweben insbesondere im Kiefergelenksbereich führen kann (Myo- und/oder Arthropathie). Hieraus resultieren ungleichförmige Unterkieferbewegungen und damit vom normalen Verlauf abweichende, veränderte Gelenkbahnen, die häufig bestimmten Krankheitsbildern zugeordnet werden können.
Da die Symptome bei gestörter Kiefergelenksfunktion vielfältig sein können, ist die klinische Diagnostik oft schwierig. Sicher scheint zu sein, daß in der initialen Traumatisierungsphase der Kiefergelenke lokalisierte Mikroläsionen auftreten, die zeitweise, z. B. in Stressphasen Knacken und Schmerzen verursachen können, nach entsprechender Therapie aber reversibel sind. Bei länger anhaltenden und/oder stärkeren Traumatisierungen der Gelenkstrukturen kommt es - vor allem bei Kompressionen - zu Diskusdeformationen (Abflachungen, Wellenformen, Risse, Perforationen u.a.), die irreversibel sind.
Neben der klinisch-manuellen Befundung haben gelenkbezügliche Registrierungen der Unterkieferbewegungen für diagnostisch-therapeutische Zwecke eine zentrale Bedeutung.
Das Kiefergelenk mit seinen verschiedenen Dysfunktionen spiegelt eine extrem wichtige Schlüsselfunktion in der Interaktion zwischen Kauapparat und dem gesamten muskulo-skelettalen System. Die Problematik besteht darin, dass die Symptome bei chronischen Kiefergelenkdysfunktionen nicht oder nur schwer zu erkennen sind, und vor allem sich nicht ausschließlich am Kiefergelenk selbst abspielen, sondern im gesamten stomatognathen System.
In verschiedenen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass nahezu 100 % aller chronischen Schmerzpatienten mit den Diagnosen "atypischer Gesichtsschmerz" und "chron. Kopfschmerz" Dysfunktionen im Bereich der Okklusion (Kontakt zwischen Zähnen des Ober- und Unterkiefers) und der Kiefergelenke aufwiesen. Dieses galt ebenso für Schmerzen im Bereich des Beckenbodens und im Bereich des Problemfeldes Nacken/Schultern. Seit Jahren sowohl in den anatomischen wie auch den neurologischen Lehrbüchern beschrieben und trotzdem wohl auf Grund der Fächerspezialisierung und damit auch die Fachabgrenzungen in Vergessenheit geraten, sind die pathologischen Afferenzen aus den Rezeptoren der Kiefergelenke für eine Vielzahl von Störungen im gesamten Körper verantwortlich.

Koppe (Greifswald) verwies aus antomischer Sicht auf die klinische Bedeutung des Foramen jugulare. Dieses ist eine Öffnung in der hinteren Schädelgrube, die den Hirnnerven IX, X, und XI sowie verschiedenen Gefäßen, insbesondere Sinus durae matris, zum Durchtritt dient. Letztere münden in die Vena jugularis interna, welche in der Fossa jugularis zum Bulbus superior v. jugularis internae erweitert ist. Die engen Nachbarschaftsbeziehungen der Strukturen im Bereich des Foramen jugulare erklären, warum nicht nur Tumoren wie Neurinome, Meningiome, Paragangliome und metastasierende Karzinome des Nasophayrnx sondern auch Pathologien auf nichttumuraler Grundlage wie Asymmetrien mit außerordentlich vielfältigen Symptomen einhergehen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Foramina der Schädelbasis entsteht das Foramen jugulare im Grenzbereich benachbarter Knochen der Schädelbasis. Das Foramen jugulare stellt eine spitzwinklig-dreieckige bis länglich-ovale Öffnung dar (Weigel-Künzel 1982) und befindet sich zwischen dem Hinterrand der Pars petrosa des Schläfenbeins und der Incisura jugularis des Os occipitale. Es erstreckt sich von anterior medial als Fortsetzung der Fissura petrooccipitalis (entwicklungsgeschichtlicher Rest der Synchondrosis petrooccipitalis) nach posterior lateral bis zum Beginn der Sutura occipitomastoidea. Benannt nach der V. jugularis interna erhält das Foramen jugulare weitere Zuflüsse: von 1. anterior medial führt der Sinus petrosus inferior zum Foramen und 2. von posterior lateral führt der Sinus sigmoideus zum Foramen jugulare.
Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass das rechte Foramen jugulare zumeist größer ist als das linke. Unter bestimmten Bedingungen können Größenvariationen des Foramen jugulare die Ausbildung von Erkrankungen begünstigen. So berichten Hayashi et al. (2000) über einen Patienten mit akuter kranialer Polyneuropathie wobei einseitig die Hirnnerven IX, X und XI involviert waren. Die Autoren vermuten, daß die einseitige Hypoplasie des Foramen jugulare ein Entrapment der beteiligten Hirnnerven mit begünstigt hat.
Das Foramen jugulare kann durch Knochenfortsätze, die sowohl vom Os occipitale als auch von der Pars petrosa entstammen, teilweise oder vollständig geteilt werden. Während im medialen Bereich Nerven und kleinere Venen liegen, befindet sich im lateralen Bereich zumeist die V. jugularis interna.
Im neuralen oder intrajugularen Kompartment des Foramen jugulare befinden sich die Nn. IX, X, XI. Sie liegen zumeist medial vom Processus intrajugularis. Ein Bindegewegsseptum trennt zumeist die Hirnnerven IX, X und IX von der lateral gelegenen V. jugularis interna. Eine trichterförmig ausgestülpte Duratasche begleitet die Nn. IX, X und XI durch die Schädelbasis. Sie liegt oft medial vom Processus intrajugularis. Im neuralen Kompartment liegt der N. glossopharyngeus meist superior, anterior und medial und hinterläßt häufig eine Furche am Foramen jugulare. Im klinischen Alltag ist ein Foramen jugulare-Syndrom relativ selten. Nur die Kenntnis der funktionellen Nachbarschaftsbeziehungen in dieser Region lässt die Vielzahl ungeklärter Kopfschmerzphänomen in Kombination mit ungeklärten Viszeropathien (N. vagus), rezidivierenden Mittelohrdefekten( N. glossopharyngeus) und einem begleitenden muskulären Hypertonus der Mm. trapezius und sternocleidomastoideus (N. accesorius) erklären.
Für schmerztherapeutische Aspekte besitzt auch die unmittelbare Nachbarschaft des Foramen jugulare zum Ganglion cervicale superior eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.

Die Dura mater cranialis stellt eine derbe, sehnig glänzende Membran dar, die aus mehreren Lagen trajektoriell angeordneter kollagener Faserbündel mit eingelagerten elastischen Fasernetzen aufgebaut ist (Leonhardt, Töndury, Zilles 1987). Sie hat vor allem mechanische Funktionen, für die ihre trajektorielle Strukturierung grundlegend ist. Für die Schädelkalotte ist sie Teil eines Rundbogengewölbes mit Längs- und Querverstrebungen durch die Durasepten. Alle mechanischen Einwirkungen auf den Schädel übertragen sich auch auf die Dura, die ihnen Widerstand leistet und kräfteverteilend wirkt. Zugleich schützt sie das Gehirn gegen solche Einwirkungen und stabilisiert durch die Septen seine Lage. Durch starrwandige Sinus wird das Venenblut des Gehirns in kompressionsgeschützte Kanäle abgeleitet (Paul/Greifswald).
Topographisch wird die kraniale Dura in Dura parietalis und Dura septalis gegliedert; beide Abschnitte bilden aber morphologisch und funktionell eine Einheit .
Die wandständige Dura parietalis überzieht die Innenfläche des Schädels. Sie besteht aus zwei Schichten bzw. Blättern, die nur dort nicht miteinander verwachsen sind, wo sie bestimmte Inhaltsgebilde (z. B. die Bluträume der Sinus) einschließen. Das äußere (periostale) Blatt bildet das Periost der Schädelinnenfläche, das innere (meningeale) die eigentliche Dura mater, d. h. die "derbe Umhüllende" des Gehirns. Embryonal sind die Blätter zunächst getrennt; in einer späteren Entwicklung verschmelzen sie zur definitiven Dura parietalis.
Beim Neugeborenen ist das periostale Blatt (und damit die ganze parietale Dura) noch fest und flächenhaft mit den Schädelknochen verwachsen, da von ihm Knochenbildung ausgeht. Mit zunehmenden Alter kann es jedoch relativ leicht vom Knochen abgelöst werden (was die Bildung großer epiduraler Hämatome nach Zerreißung von Duragefäßen ermöglicht); lediglich an den Schädelnähten und an bestimmten umschriebenen Stellen der Schädelbasis bleibt die Fixierung bestehen. Wegen der Schmerzempfindlichkeit der Dura gegenüber Zug und Druck sind diese Beziehungen bedeutungsvoll. Das gilt auch für ihr Verhalten an den Löchern der Schädelbasis. Das parietale Blatt geht hier in das äußere Periost der Schädelaußenfläche über. Das meningeale Blatt zieht am Foramen magnum als Dura mater spinalis in den Wirbelkanal; an den Nervenaustrittslöchern geht es kontinuierlich über in die Bindegewebshülle (Epineurium) der Hirnnerven. Dasselbe macht auch die spinale Dura am Beginn der Spinalnerven.
Die Dura septalis (Abb.1) besteht aus Septen, die in das Schädelinnere vorspringen. Funktionell und klinisch bedeutungsvoll sind die Hirnsichel (Falx cerebri) und das Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli). Die Hirnsichel dringt, in der Medianebene von der Calvaria ausgehend, tief in die Fissur zwischen den beiden Großhirnhemisphären ein. Das Kleinhirnzelt spannt sich zwischen den Oberkanten der Felsenbeinpyramiden und dem Hinterhauptsbein aus. Es überdacht die hintere Schädelgrube, trennt die Okzipitallappen der Hemisphären vom Kleinhirn, ist mit dem hinteren Abschnitt der Hirnsichel verbunden und besitzt eine breite Öffnung (Tentoriumschlitz), dessen Ränder das durchtretende Mittelhirn umgreifen .
In der kranialen Dura befinden sich die septalen und parietalen Blutleiter (Sinus durae matris). Die letztgenannten liegen zwischen den beiden Blättern der parietalen Dura (eben so wie das Ganglion trigeminale, das in eine Duratasche eingelagert ist).
Unter den Venenblutleitern nimmt der (paarige) Sinus cavernosus eine Sonderstellung ein. Er liegt an der Seitenfläche des Keilbeinkörpers (und damit in Nachbarschaft zur Keilbeinhöhle) und neben der Hypophysengrube, diese mit seiner Wand lateral begrenzend. Durch den Sinus hindurch ziehen die A. carotis interna und der N. abducens, in der Seitenwand verlaufen die Nn. III, IV, V1, V2. Dorsolateral vom Sinus, von ihm nur durch ein Duraseptum getrennt, liegt die Duratasche des Trigeminusganglions. Aufbau und Nachbarschaftsbeziehungen des Sinus cavernosus machen es verständlich, dass vielfältige extra- und intrasinusale Prozesse u. a. seinen Blutdurchfluss, die durchziehenden Nerven und das Trigeminusganglion beeinträchtigen bzw. in Mitleidenschaft ziehen können.

Sowohl Teile der kranialen Dura (vor allem basale Abschnitte und die Septen) als auch die zugehörigen Duragefäße werden sensibel (nozizeptiv) innerviert (was die Begriffe Dura- und Duragefäß-Schmerz legitimiert), überwiegend durch die drei Trigeminusäste, z. T. aber auch durch den N. vagus (Abb.2) und obere Spinalnerven. Insbesondere die Kenntnis der nervalen vagalen Verschaltung erklärt das häufig klinisch zu beobachende Phänomen, dass eine migränoide Kopfschmerzsymptomatik in mittelbaren und/oder unmmitelbaren Zusammenhang mit viszeralen Einflüssen (z. B. abdominelle Migräne) stehen kann.
Kupke (Dresden) ging in seinen Ausführungen auf die Bedeutung der Zähne als Bestandteil eines komplexen orofazialen Systems.
Aus regulationsmedizinischer Sicht sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:
  1. die Ausbreitung lokaler Irritationen vom Zahn über die sensible Inervation im Segment und übersegmental
  2. die Projektion der Zahnstörung in zervikale Inervationsgebiete durch Verbindung der Trigeminuskerne mit den Kernen der Zervikalsegmente (C2 - C4) mit dem klinischen Zusammenhang zu HWS-Blockierungen sowie Kopfschmerzen und Migräne
  3. die Labilisierung der Gesamtregulation durch dauerhafte anhaltende Reizung des vegetativen Nervensystems mit folgender Dekompensation (Störfeldwirkung)
  4. die Wirkung von unterschiedlichen Metallen im Mund als galvanisches Element
  5. die Abgabe von Toxinen "toter" Zähne an die Grundsubstanz

Die Schwierigkeit in der Diagnostik von Kopfschmerzen (KS) besteht darin, dass diese ein außerordentlich unspezifisches Symptom darstellen (Machetanz/Zwickau). 54 Millionen Deutsche leiden an "harmlosen" Kopfschmerzen und empfinden sie dementsprechend wie eine mehr oder weniger massiv ausgeprägte Befindlichkeitsstörung. Andererseits können jedoch Kopfschmerzen auch bei einer Reihe von akut lebensbedrohlichen Erkrankungen das erste und einzige Symptom sein. Wird ein solcher "gefährlicher" Kopfschmerz fälschlicherweise als "harmloser" Kopfschmerz verkannt, können katastrophale Folgen resultieren. Die Unterscheidung "harmloser" von "gefährlichen" Kopfschmerzen ist Aufgabe des Allgemeinarztes und in Zweifelsfällen des Akutneurologen. Klinisch muss immer dann an einen gefährlichen Kopfschmerz gedacht werden, wenn ein Kopfschmerz erstmalig auftritt, der sich in Charakter und/oder Stärke signifikant von eventuell beim Patient bereits vorher aufgetretenen Kopfschmerzen unterscheidet. Auch wenn der Kopfschmerz mit neurologischen Ausfallssymptomen einhergeht, muss an einen gefährlichen Kopfschmerz gedacht werden. Die wichtigsten Differentialdiagnosen akut gefährlicher Kopfschmerzen sind Meningitiden, raumfordernde Prozesse (wie Hirntumoren und intrakranielle Blutungen), Sinusvenenthrombosen, Hirninfarkte und Liquoraufstau. Die Hauptdiagnostikverfahren sind CCT, Kernspintomographie und Liquoranalysen. Es gibt aber auch noch eine Reihe anderer Krankheiten mit akutem Handlungsbedarf (wie z.B. Sinusitis oder Glaukomanfall), die einer zügigen Diagnostik und Therapie bedürfen.
Während in der Akutsituation der Ausschluss eines gefährlichen Kopfschmerzes vordringlich ist, bleibt es auch bei chronischen Fällen erforderlich, den Schmerz klassifikatorisch einzuordnen und diagnostisch aufzuarbeiten. Allgemeiner Standard für die Kopfschmerzklassifikation ist die Einteilung der International Headache Society (IHS), die in ihrer ursprünglichen Form 1988 festgelegt wurde. Die Formulierung einer klaren diagnostischen (zumindest Arbeits-) Hypothese ist für jeden Patienten wichtig, weil die Differentialtherapie des Kopfschmerzes für etliche Diagnosen jeweils spezifisch ist.
Die Frage, ob Kopfschmerz = Kopfschmerz ist, kann verneint werden. Die Probleme liegen eher in den Fragen: wie viel diagnostische Sicherheit muss in der Akutabklärung von Kopfschmerzen gefordert werden? und wie behandelt man Patienten mit chronischen Kopfschmerzen, die mit Standardtherapien nicht ausreichend gebessert sind ?

In einem Übersichtsvortrag verwies Giebel (Greifswald) auf die anatomische Besonderheiten der extrazellulären Matrix.
Aus anatomischer Sicht besteht das Bindegewebe aus drei Komponenten:
  1. Zellen
  2. faserigen Bestandteilen
  3. und amorpher (ungeformter) Grundsubstanz
Es werden ortsständige Zellen (Fibrozyten und Fibroblasten) sowie freie Zellen wie Granulozyten, Makrophagen, Lymphozyten und Mastzellen, die nach Bedarf in das Gewebe einwandern können, unterschieden. Zu den faserigen Anteilen zählen Kollagen, Elastin und Retikulinfasern. Die ungeformte Grundsubstanz besteht im wesentlichen aus Zuckerderivaten wie Glycosaminoglycanen und Verbindungen aus diesen Zuckerderivaten und Proteinen, den sog. Proteoglycanen.
Während die Aufgabe der Zellen sowohl im Aufbau und Erhalt des Bindegewebes als auch in der immunologischen Abwehr liegt und die faserigen Bestandteile vor allem mechanische Funktionen übernehmen, wurde die Bedeutung der amorphen Grundsubstanz lange unterschätzt.
Aus der biochemischen Charakteristika der Matrix ergibt sich, dass die amorphe Grundsubstanz an der Regulation des Wasserhaushaltes, des Säure-Basenhaushaltes und dadurch auch an der Aufrechterhaltung der Homöostase entscheidend beteiligt ist.
Darüber hinaus wurde nachgewiesen, dass Glycosaminoglycane weitere wichtige Funktionen ausüben. So können sie bestimmte Wachstumsfaktoren (basischer Fibroblasten Wachstumsfaktor, bFGF) binden. Außerdem erleichtern sie die Zellwanderung während der Entwicklung von Geweben oder Organen und sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Wundheilung.
Diese primär "langweilig" erscheinenden Grundlagen sind jedoch Terrain und somit Basis zur Prophylaxe und Therapie chronischer Erkrankungen, einschließlich maifester, therapieresistenter Schmerzzustände. Darauf aufbauend erklärte Schöneberg( Frankfurt/Oder) die biologische Terrain- Analyse BE-T-A nach Prof. Vincent, mit deren Hilfe exakt das biologische Terrain von Krankheiten bzw. auch von Substanzen bestimmt und beschrieben kann. Aus den pH-Messwerten der drei Körperflüssigkeiten Blut, Speichel und Urin und ihrer Korrelation untereinander lassen sich die Krankheitsrisiken für Patienten bestimmen und daraufhin präventive Maßnahmen gezielt einleiten.

Der Ruf nach qualitätssichernden Maßnahmen in der Medizin wird zunehmend lauter. Dies wird um so verständlicher , als dass Kostenträger in ihrer Entscheidungsfindung hinsichtlich einer "bezahlbaren und effizienten Medizin" zukünftig validiertes Datenmaterial nutzen möchten. In der Schmerztherapie stellt sich zusätzlich die Problematik, das eine Vielzahl unterschiedlicher Therapieansätze in der Behandlung chronischer Schmerzzustände zur Anwendung kommen. Gastmeier (Potsdam) und Preuße (Essen) stellten dem Auditorium unterschiedliche Qualitätssicherungsverfahren für die Arbeit in schmerztherapeutischen Einrichtungen vor. Beide Systeme ermöglichen aufgrund vorhandener GTD-/BDT-Schnittstellen eine unkomplizierte Anbindung an unterschiedliche Abrechnungssysteme und somit die Möglichkeit zur Vernetzung und Integration.

Abgerundet wurde das 5. Curriculum durch zwei seminaristische Veranstaltungen. Baudet (Aachen) erarbeitete mit den Kursteilnehmern anhand reeller Falldarstellungen verschiedene Techniken in der Diagnosestellung der unterschiedlichen Kopfschmerzformen und daraus resultierenden therapeutischen Interventionen.
Krempien (Neubrandenburg) demonstrierte in praktischen Übungen die Injektionstechniken an das Ganglion stellatum, Ganglion cervicale superior, Ganglion pterygopalatinum und Ganglion ciliare.

 

Abbildungen

Abbildung 1

Abb. 1. I. Paul persönliche Information

 

Abbildung 2

Abb. 2. I. Paul persönliche Information

 

Literatur

Behrens M (1975) Über Volumen und Öffnungen der hinteren Schädelgrube. Med. Diss., Univ. Würzburg

Enlow DH (1968) The human face. New York, Evanston, London: Harper & Row

Fanghänel J, Pera F, Anderhuber F, Nitsch R (Hrsg) (2002) A. Waldeyer, Anatomie des Menschen. Berlin, New York: W. de Gruyter

Hayashi T, Murayama S, Sakurai M, Kanazawa I (2000) Jugular foramen syndrom caused by varicella zoster virus infection in a patient with ipsilateral hypoplasia of the jugular foramen. J Neurol Sci 172: 70-72

Lang J (2001) Skull base and related structures. 2nd Ed. Stuttgart: Schattauer

Leonhardt H, Töndury G, Zilles K (Hrsg) (1987) Rauber/Kopsch. Bd. III. Nervensystem, Sinnesorgane. Stuttgart, New York: G. Thieme

Schumacher GH (1997) Anatomie für Zahnmediziner. Lehrbuch und Atlas. 3. Aufl. Heidelberg: Hüthig

Weigel-Künzel M (1982) Über die Topographie von Nerven und Gefäßen am Foramen jugulare. Med. Diss., Univ. Würzburg